16
Jun
2012

Selbstaneignung

Man muss sich selbst ein Rätsel (und damit interessant) zu bleiben wissen. Der Verzweifelte hat jede Ehrfurcht vor sich verloren: er weiß, wer er ist. Irgendetwas muss man sich zurückbehalten, aufsparen und vor seinen eigenen neugierigen Blicken verbergen, etwas, das sich nicht der Sonne der Raison aussetzen muss und gerade deshalb bestens gedeiht. Es ist nicht möglich, sich selbst zu erkennen, sich also ganz in das Objekt seines eigenen Denkens zu verwandeln: die Taschenlampe kann sich nicht selbst ausleuchten, soweit ihr Licht das Dunkel auch durchstoßen mag.

"Als du die Wahrheit suchtest, wonach sehnte sich dein Herz da? Nach deinem Herrn!", schreibt Max Stirner. Wer nach Wahrheit strebt, sucht sich durch etwas anderes zu gewinnen. Das Selbstbewusstsein des Wahrheitssuchenden wäre in jedem Fall ein vermitteltes, ihm äußerliches. Er wird stöhnen wie Faust in seinem Studierzimmer, denn er fühlt, dass er mit all seinen Erkenntnissen nicht gemeint ist. Die Wahrheit ist nicht treu; sofern sie zu beglücken vermag, beglückt sie jeden, der ihr auf ihren geheimnisvollen Wegen nachspürt. Daher sollte wir uns nicht fragen, ob es wahr oder falsch ist, was wir denken, sondern ob es tatsächlich unser Denken ist. Denken ist vor allem eines: Selbstaneignung. Viele Widersprüche des Kopfes beruhen darauf, dass das Leben widersprüchlich ist; und deshalb wäre es unredlich, das Nirvana eines allberuhigenden Konsenses anzustreben. So sitze ich hier in gelassener Erwartung der Stürme, die ich gesät habe.
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Zuletzt aktualisiert: 16. Jun, 11:37

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