Es liegt an dir!
Dein Leben legitimiert sich, wenn überhaupt, erst im Ganzen. Du kannst jetzt noch nicht wissen, was es bedeutet, 30, 40, 50 Jahre alt zu sein, oder wie es ist, faltige, von dünner gelblicher Haut überzogene Hände im Sonnenlicht zu wärmen. Ich wünsche dir von Herzen, dass du später einmal, in einer ruhigeren Stunde, auf deine derzeitige Existenz, auf genau diesen Dienstag und die mit diesem zusammenhängende Unschlüssigkeit darüber, wie du diesen Text eröffnen solltest, ohne bitteren Nachgeschmack zurückblicken wirst können. Dass du dir an jenem unbekannt fernen Tage das, was du jetzt dein Leben, dein ganzes Leben nennst, mit anderen, nämlich milderen und vor allem dankbareren Augen ansehen kannst; als nur ein, wenn auch in recht dunklen Farben gehaltenes Kapitel neben anderen. Schopenhauers Diktum, dass alle Dinge herrlich zu sehn, aber schrecklich zu sein seien, lässt sich auch auf die Vergangenheit anwenden. Wer vermöchte heute schon zu sagen, zu welch rührigem Gegenstand seine soeben herausgeschriene Verzweiflung einmal in seiner Erinnerung werden könnte? Was immer du hier eigentlich tust, die vielen Zeugnisse deiner manischen Wachheit werden eine spätere Verklärung deines äußerlich so trostlosen Studentenlebens geradezu erzwingen. Oder, wer weiß, das Lächeln eines Menschen, der auch diese Verklärung hinter sich gelassen haben wird. Wird er leben und warmes Blut durch seine Adern strömen? Oder wird er eine phantastische Figur bleiben, ein bloßes Ideal deiner Selbst, der Spiegel, den du zerbrichst? Es liegt an dir!
Julian Apostata - 16. Jun, 11:33